Vergebung - immer und ohne Wenn und Aber?

08.03.2018 | Autor: AG

Fragt man einen Christen: "Was lehrte Jesus – wie oft muss man bereit sein zu vergeben?", so wird er in etwa antworten: "77 Mal, das heißt unbegrenzt."

Fragt man weiter: "Was lehrte Jesus – wie oft muss man vergeben?", dann wird einen der Christ wahrscheinlich mit großen Augen ansehen, als wollte er sagen: "Die Frage wurde doch eben schon gestellt, und ich habe geantwortet: 77 Mal, das heißt unbegrenzt."

Doch es handelt sich nicht um dieselbe Frage.

Vielen Christen, auch Jehovas Zeugen, wird von ihrer Religionsgemeinschaft nicht geholfen, den Unterschied zu erkennen. Nein, es scheint Kirchen nicht wirklich wichtig zu sein, dass ihre Schäfchen den Unterschied zwischen der Vergebungs-Bereitschaft und dem eigentlichen Vergebungs-Akt verstehen.

In der Bibel wird das eine vom anderen aber klar unterschieden.

Und der Unterschied ist so leicht zu erkennen, wie bei einem Autofahrer, der sich an der roten Ampel bereithält loszufahren, aber erst bei Grün losfährt.

Was der Grund für das Dunkelhalten der biblischen Vergebungslehre sein mag, darauf wird später hier eingegangen werden ...

Jesu Gleichnis von den Sklaven und der Vergebung

Beschäftigen wir uns mit Jesu "Vergebungs"-Gleichnis gemäß Matthäus 18:21-35, um Licht ins Dunkel zu bringen. Das Gleichnis handelt von mehreren verschuldeten Sklaven und einem König.
(Wenn dir das Gleichnis nicht so geläufig ist, kannst du es hier vorab durchlesen.)

Lautet die Lehraussage von diesem Gleichnis Jesu wirklich:

"Christen müssen immer, und zwar bedingungslos vergeben"?

Händeschütteln mit Handschellen

Zu dieser Thematik werden, z.B. in den Reihen der Zeugen Jehovas, recht widersprüchliche Ansichten geäußert, sogar in Predigten von geistlichen Vorstehern. Viele dieser Ansichten sind schwerwiegend unbiblisch und unhaltbar.

Das Gleichnis in Matthäus, Kapitel 18 ist feste Speise – es darf nicht oberflächlich behandelt werden. Es geht darin um ernsthafte Verfehlungen, die gegen einen begangen werden. Der König in dem Gleichnis stellt Gott dar. Er rechnet mit seinen Sklaven ab. Sie stehen für die Menschen. Gott hat eine Erwartungshaltung. Er vergibt nicht einfach allen Menschen – er erlässt nicht einfach ohne Weiteres jedermanns Schuld.

Nein, Vergebung erfolgt erst unter bestimmten Voraussetzungen.

In dem Gleichnis fällt der Sklave nieder und bittet um Gnade. Ähnlich vergibt Gott auch uns unsere Schuld bereitwillig, sofern wir ihn darum bitten und bereuen.

Der erste Sklave in dem Gleichnis steht für uns. Ein anderer Sklave schuldet ihm 100 Denare, nicht etwa 1 oder 2. Ein Denar war ein Tagelohn. 100 Denare also 100 Tagelöhne! Das war keine Kleinigkeit (wie oft fälschlich gelehrt wird). Es waren immerhin 3 ½ Monatslöhne! Sicher viel Geld für eine mehrköpfige Familie damals. Daher steht diese Schuld im Gleichnis Jesu nicht für kleine Kratzer oder Schnitzer. Es steht für eine echte Wunde. Doch der zweite Sklave bittet den ersten inständig um Gnade (steht für Vergebung). Der erste Sklave ist aber nicht bereit, ihm "Vergebung" zu gewähren. Das ist verkehrt.

Das wichtige Detail des Bittens des ersten wie auch zweiten Sklaven wird gern bei Predigten übergangen. Und schon manches Gemeindemitglied, das auf die korrekte biblische Vorgehensweise hinwies, hat Redeverbot bekommen (übliche Praxis u.a. bei den Zeugen Jehovas).

Das Gleichnis Jesu lehrt also nicht eine bedingungslose Vergebungspflicht, sondern zunächst einmal die Pflicht zur Bereitschaft zum Vergeben. Und wenn der Schuldige um Verzeihung bittet, soll die Vergebung nicht verwehrt werden, sondern "aus dem Herzen heraus" erfolgen. Dazu sollten Christen bereit sein.

Vielleicht sagt jemand: "Wir werden doch nicht Vergebung davon abhängig machen, ob jemand kommt oder nicht kommt und um Verzeihung bittet!" (Er sollte besser nur von sich sprechen.)

Man bedenke: Hat der König etwa ohne Weiteres allen seinen Sklaven ihre gesamten Schulden erlassen? Muss ein Gläubiger seinen Schuldnern einfach so ihre Schulden erlassen? Die Antwort ist natürlich: Nein.

Und sollten Christen bei der Handhabung von Verfehlungen verschiedener Schweregrade undifferenziert vorgehen und sie alle über einen Kamm scheren?

Leichte Verfehlungen

Das Gleichnis handelt nicht – wie man beim flüchtigen Lesen meinen könnte – von Kleinigkeiten und Unvollkommenheiten, Schwächen und unschönen Eigenheiten unserer Nächsten. Selbstverständlich decken wir kleine Schnitzer und Kratzer in Liebe zu, ohne eine Entschuldigung zu erwarten, und ertragen einander (Eph. 4:32; 1. Petr. 4:8).

Pflaster

Pflaster drauf – und fertig!

Aber das ist nicht der Lehrpunkt dieses Gleichnisses Jesu. Dazu bedarf es keines Gleichnisses. Nichtchristen handhaben das ebenso.

Ernsthafte Verfehlungen

Der Verlust von 100 Denaren war für eine Familie damals keinesfalls eine unbedeutende Nebensächlichkeit, über die man einfach hätte hinwegsehen können. Jesus wollte also offensichtlich mit seinem Gleichnis nicht das Ignorieren von ernsteren Verwundungen lehren, sondern das barmherzige Vergeben.

Man soll barmherzig sein, wenn man um Gnade/Verzeihung gebeten wird.

Einem Glaubensbruder z.B., der sich aufrichtig entschuldigt, die Vergebung zu verwehren mit der Begründung: "Du hast mir sehr weh getan; ich kann dir nicht vergeben" wäre unbiblisch und nicht zulässig. Nein, "in gleicher Weise" wie Gott uns als Bittenden bereitwillig vergibt, sollten wir anderen, die uns um Vergebung bitten, vergeben (Matth. 18:29, 32, 35). Das ist Jesu eigentliche Hauptaussage.

Rechte und Pflichten von Tätern und Opfern

Man beachte bitte auch: Jesus ermuntert zwar zu Großherzigkeit, spricht aber keinesfalls dem Täter mehr Rechte zu als dem Opfer (Matth. 5:23, 24). Kein Täter darf meinen: "Ich kann mir alles erlauben; meine Brüder müssen mir ja eh vergeben – bedingungslos und automatisch."

Ausgestossen

Auch redete er dem Opfer keinesfalls seinen Schmerz, seine tiefen Verletzungen und Wunden aus (siehe Vers 15). Jesus übte in solch ernsteren Fällen – und davon handelt das ganze Kapitel 18 – keinen Druck aus, einem anderen zu vergeben, ohne dass Anzeichen der Reue zu erkennen wären (siehe Vers 15-17).

Jesus war, als er zu diesem heiklen Thema Rat gab, nicht einseitig. Er war absolut ausgeglichen und fair in seinen Ansprüchen den beiden Kontrahenten gegenüber.

Opfer mit Beule

Im Grunde haben also beide Seiten sowohl Rechte
als auch Pflichten:
 

Das Opfer hat bei ernsten Verfehlungen das Recht, dem Schuldigen "einen Verweis" zu erteilen, wenn doch irgendwann die Schmerzgrenze erreicht ist, weil dieser ihm sozusagen auf die Füße tritt.

Er hat das Recht auf eine Bitte um Entschuldigung und dann die Pflicht zu vergeben.

Täter mit Hammer

Der Schul­di­ge an­der­seits hat die Pf­licht, auf­rich­tig zu be­reu­en und um Ver­zei­hung zu bit­ten (vgl. Luk. 12:58, 59). Und er darf dann be­rech­tig­ter­wei­se (sogar als Wie­der­ho­lungs­tä­ter gemäß Jesu Wor­ten) auf Ver­ge­bung hof­fen.

Kein Wenn und Aber?

In manchen kirchlichen Kreisen hört man von Geistlichen (wohl nicht ohne Hintergedanken, wie die Missbrauchsskandale zeigen) und auch unter Zeugen Jehovas immer öfter:

"Vergib doch einfach;
dann wird es dir besser gehen."

So einfach ist das aber in der Praxis oft leider nicht bei schwerem Unrecht. Und tatsächlich ist es sogar ein pseudochristlicher Rat.

Jesus hingegen riet gemäß Lukas 17:3, 4 zu folgender Vorgehensweise:

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"Gebt acht auf euch selbst. Wenn dein Bruder eine Sünde begeht, so erteile ihm einen Verweis, und wenn er bereut, so vergib ihm. Auch wenn er siebenmal am Tag gegen dich sündigt, und er kommt siebenmal zu dir und sagt: "Ich bereue", sollst du ihm vergeben."

Man benötigt mit einer Bibelkonkordanz nur wenige Minuten, um weitere Wenn-Bibelstellen (Bedingungen) zu finden, die mit Sündenvergebung zu tun haben. Nur einige seien hier genannt:

  • 2. Chronika 6:21-30, 36-39
  • 2. Chronika 30:8, 9
  • Jesaja 1:15-20
  • Jeremia 3:25 bis 4:1, 2
  • 1. Könige 8:46-50

Es gibt zahllose weitere Stellen, die den Wenn-Gedanken (also die Bedingtheit) herausstellen, und zwar in nahezu jedem Bibelbuch (Joh. 9:39-41).

"Der liebe Gott vergibt alles!" – Wirklich?

Lieber Gott

Auch die Ansicht vom sogenannten "lieben Gott", der einfach alle Sünden großherzig vergibt, ist weit verbreitet und breitet sich seuchenartig immer weiter aus. Gott habe ja für das Lösegeld Christi gesorgt, und nun sei alles in Ordnung. Jesus habe schon für unsere vergangenen und auch für unsere zukünftigen Sünden bezahlt; nun sollten auch wir "einfach alles bedingungslos und großherzig vergeben".

Das ist eine Irrlehre!

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"Die Sünder werden von der Erde beseitigt werden;
Und was die Bösen betrifft, sie werden nicht mehr sein.
Segne Jehova, o meine Seele. Preiset Jah!" (Psalm 104:35)

JHWH ist nicht der "liebe Gott", sondern der Gott der Liebe. Als solcher ist er in seiner Liebe zum Vergeben bereit. Das ist die eine Hälfte der Wahrheit. Bei einer Halbwahrheit darf es aber nicht bleiben. Die andere Hälfte der Wahrheit ist:

Die Vergebung selbst erfolgt erst unter bestimmten Voraussetzungen. Beleg: Apostelgeschichte 2:37, 38; 3:19; 5:31; 8:22. Gott verzeiht nicht automatisch und auch nicht alles. Und was er von seinen Anbetern in Sachen Vergebung untereinander erwartet, ist, dass sie ihn in seiner Vorgehensweise nachahmen.

Ein einfaches schnelles Vergeben von ernsten Verfehlungen (von diesen handelt Matthäus, Kapitel 18, und davon wird auch hier in dieser Erörterung gesprochen – nicht von Kleinigkeiten oder Kränkungen, die man in Liebe erträgt und vergibt, siehe Kol. 3:13) entspricht nicht der göttlichen Gerechtigkeit und ist kontraproduktiv, weil er Missetätern freien Lauf lässt (Vergewaltigern, Kinderschändern etc.).

In letzter Konsequenz durchdacht, macht sich sogar das unschuldige Opfer, das einfach still sein und vergeben soll, am Leid weiterer Opfer des reuelosen Täters mitschuldig, der in seinem Lauf beharrt und nicht zur Rechenschaft gezogen wird.

blutige Fussspuren

Tatsache ist: Man kann nicht vergeben, ohne dazu bereit zu sein. Halten wir das einmal fest. Andererseits kann man durchaus zum Vergeben innerlich grundsätzlich bereit sein, ohne aber zu vergeben, "wenn" die Voraussetzungen (noch) nicht gegeben sind (Luk. 17:3, 4). Ein wahrer Christ ist zum Vergeben prinzipiell stets bereit. Und er vergibt auch Ernstes, sobald die biblisch zugestandenen Bedingungen erfüllt sind. Tritt bei einer ernsten Sünde gegen uns der Täter reuevoll an uns heran und bittet um Verzeihung, so vergeben wir ihm tatsächlich.

Ein unschuldiges Opfer wird von Gott und Christus nicht entrechtet und der Schuldige mit allen Privilegien ausgestattet. Nein, Opfer haben gewisse Rechte. Sie können auf diese zwar verzichten, aber nicht dazu gezwungen werden. Auch gibt es verschiedene Etappen im Vergebungs-Procedere sowie eine Vorgehens-"Weise" Gottes, die es nachzuahmen gilt (z.B. Matth. 18:15-17, 35).

Es ist biblisch völlig legitim, bei schweren Verfehlungen vom Täter Reue zu erwarten, bevor man als Opfer vergeben kann, selbst wenn man schon dazu bereit ist. Es darf einem Opfer aber kein Vorwurf gemacht werden, wenn es bis zur tatsächlichen Einsicht des Sünders noch nicht vergeben hat.

Merke: Der König in Jesu Gleichnis war bereit, die große Schuld zu vergeben. Letztlich hat er dem Sklaven diese aber dann doch nicht vergeben! Interessant, nicht wahr? Erzürnt ließ er ihn ins Gefängnis werfen, wo er starb; denn der Sklave konnte diese hohe Schuld unmöglich jemals abzahlen (Matth. 18:34).

Warum vergab der König (steht ja für Gott) dem Sklaven nicht, obwohl der König die Bereitschaft dazu schon unter Beweis gestellt hatte?

Der Sklave erfüllte nicht alle Bedingungen; er war nicht bereit gewesen, seinem Mitsklaven, der ihn inständig bat (steht in dem Gleichnis für die Anerkennung der eigenen Schuld und für eine Entschuldigung bei ernsthafteren Verfehlungen), zu vergeben; er war unversöhnlich und unbarmherzig (Vers 29). Wichtig ist: In jedem Fall aber haben beide Sklaven allein schon durch ihr inständiges Bitten ihre Schuld anerkannt. Der erste Sklave hatte eine Bedingung erfüllt (seine Schuld anzuerkennen), aber nicht alle (er vergab nicht seinem Mitsklaven, der ihn bat). Somit wurde ihm letztlich auch nicht vergeben.

Resümee Jesu in Vers 35: Wenn wir anderen, die uns um Vergebung bitten, nicht vergeben, kann uns Gott auch nicht vergeben – selbst wenn wir ihn darum bitten und die anderen Bedingungen, die er stellt, erfüllen, nämlich an die Loskaufsvorkehrung glauben und bereuen.

Jesus machte in ähnlicher Weise durch das gut bekannte Mustergebet klar, dass wir, wenn wir – als Sklaven und Schuldner Gottes – im Gebet (im wahrsten Sinne des Wortes!) unseren himmlischen Vater um Vergebung unserer Schulden und Verfehlungen bitten, nur dann auf Erhörung hoffen dürfen, wenn wir selber unseren Schuldnern, die uns um Verzeihung gebeten haben, vergeben (Matth. 6:9-15, 24). Er gebraucht im Vaterunser dasselbe Wortbild mit "Schulden" und "Schuldnern". Und wenn wir uns bewusstmachen, welch riesigen Sünden-Schuldenberg wir im Verlauf unseres Lebens aufhäufen und Gott uns dennoch vergibt, werden wir unseren Mitmenschen ebenfalls sogar (häufige und) ernstere Verfehlungen vergeben, wenn diese bereut haben.

Ernste Sünden müssen also nicht bedingungslos, "ohne Wenn und Aber" oder "einfach großherzig" vergeben werden. Es besteht, biblisch gesehen, kein Zwang dazu, solange sie nicht bereut worden sind (Luk. 17:3, 4). Jemand darf nicht als schlecht oder lieblos hingestellt werden, der einem Missetäter, der ein schweres Vergehen nicht bereut, nicht vergibt (selbst wenn das Opfer eine bereitwillige Geisteshaltung dazu schon längst einnimmt). In solch einem Fall dürfen einem Opfer keine Nachteile erwachsen. Jesu Gleichnis wird leider auffallend oft fälschlich in diese Richtung ausgelegt.

Zur Veranschaulichung: Einem 100-Meter-Läufer, der am Start bereit steht zum Wettlauf, sagt man ja auch nicht, er dürfe nicht den Startschuss abwarten, sondern solle einfach loslaufen. Auch wird er nicht disqualifiziert, nur weil er bis zum Startschuss wartet.

Läufer im Startblock

Ein verzerrtes Bild der Vergebung

Geistliche Lehrer, die den wichtigen Aspekt der Notwendigkeit der Reue bei schwereren Verfehlungen unbedingt entfallen lassen möchten, erzählen im Grunde ein anderes Gleichnis als das, das Jesus erzählte:

"Es war einmal ein König (steht dann für den sogenannten lieben Gott), der allen seinen Sklaven einfach ihre Schulden erließ.
Einer seiner Sklaven nahm sich ihn zum Vorbild und erließ einem Mitsklaven auch einfach ungefragt eine nicht unerhebliche Geldschuld. Und er dachte bei sich: ,Wenn dieser Sklave wieder von mir größere Summen an Geld leiht, erlasse ich es ihm auch. Einfach so.´
Das machte Schule. Mit der Zeit verhielten sich alle Untertanen des Königs so. Die Folge war, dass er bankrott ging und alle seine Untertanen auch." (vgl. Lukas 16:1-9)

Hier werden wichtige Details und damit einhergehende Lehrpunkte aus Jesu Originalgleichnis unterschlagen, zum Beispiel:

  • In Jesu Gleichnis sprachen die Beteiligten miteinander (vgl. Matth. 5:23, 24; 18:15-17).
  • Es wurden inständige Bitten geäußert.
  • Der König stellte Bedingungen.
Biene auf Blume

Zur Veranschaulichung:

Eine Blume stellt Nektar bereit.
Sie gibt ihn jedoch erst ab, wenn die Biene kommt und ihn sucht.

Ersichtlich sind "bereit sein zu vergeben" und "vergeben" keine Synonyme, obwohl sie häufig oberflächlicher- und fälschlicherweise so verwendet werden! (vgl. 2. Kor. 8:10-12)

Jesu Vergebungslehre – der allgemeine Grundsatz:

  • Christen sollten stets bereit sein zu vergeben (Grundhaltung).
  • Und sie sollten dann auch tatsächlich vergeben (Handlung), und zwar
    — unbegrenzt oft (Mat. 18:21, 22 betont die Häufigkeit),
    — selbst große Verfehlungen (Mat. 18:28 betont die Schwere)
  • wenn die Voraussetzungen für das Vergeben erfüllt sind (Bedingungen).

Zu den Bedingungen für das Vergeben von größeren Sünden zählen Reue, aber auch Unwissenheit und anderes mag dazu gehören (Apg. 2:38). Selbstverständlich kann ein Christ großzügigerweise auch vergeben, ohne dass Bedingungen/Voraussetzungen erfüllt sind; doch darf man das nicht von ihm verlangen. Hingegen erfüllt die Geringfügigkeit einer Verfehlung stets die Voraussetzung für das Vergeben.

Die Bereitschaft zu vergeben an sich (Grundhaltung) sollte also bei Christen immer vorhanden und niemals an Bedingungen geknüpft sein. Das eigentliche Vergeben hingegen (der Akt des Vergebens) ist an Bedingungen geknüpft.
 

Jesus spricht zu Jüngern

Sich an Gott und Jesus orientieren

Des Weiteren wollte Jesus mit seinem Gleichnis offensichtlich verdeutlichen: Gott ist immer bereit zum Vergeben. Die Vergebung selbst erfolgt jedoch nur unter bestimmten Bedingungen.

In Sachen Sündenvergebung dient auch Christus selbst als vorzügliches Vorbild. Welches Beispiel gab uns Christus denn tatsächlich, wenn wir genau auf ihn achten? Knüpfte er Vergebung nicht an Voraussetzungen, stellte er keine Bedingungen? Nun, was sagt Lukas 23:34 in Zusammenhang mit seiner Hinrichtung?

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"Jesus aber sprach: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."
Ja! "Denn sie wissen nicht, was sie tun."

Römische Soldaten

Die Unwissenheit dieser römischen Soldaten war für Jesus eine erfüllte Bedingung zur Vergebung. In ihrem Fall konnte diese schwere Sünde vergeben werden. Die heidnischen römischen Soldaten waren ja keine Juden, sondern Ungläubige. Als solche mussten sie nichts über einen Messias wissen.

Außerdem waren sie nur die Befehlsempfänger/-ausführenden. Viele Male hatten sie wohl schon schlimme Verbrecher hingerichtet. Sie mussten einfach davon ausgehen, dass auch Jesus zu Recht zum Tode verurteilt worden war. Die "kleinen" römischen Soldaten waren nicht die Richter; das war nicht ihre Aufgabe; sie kannten nicht die Hintergründe und hatten auch nicht den Fall zu untersuchen und das Urteil zu sprechen. Daher erscheint es leicht nachvollziehbar, dass Jesus ihnen ihre Tat gerne nachsah.

Warum? Die Voraussetzung Unwissenheit war gegeben.

Jüdische Zuhörer

Seinen eigenen Landsleuten andererseits, den Juden, konnte Jesus bemerkens­werter­weise offensichtlich bei seiner Hinrichtung nicht vergeben. Sie hielten sich für Gläubige und hätten es, obwohl sie aus (verschuldeter) "Unwissenheit" handelten, besser wissen können und müssen (im Sinne der Redeweise "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht") (Apg. 3:17; Joh. 9:41; 15:22, 24).

Damit sie Vergebung erlangen konnten, wurden sie später vom Apostel Petrus zur Reue aufgefordert (Apg. 2:38; 3:17-19). Das wäre unnötig gewesen, wenn Jesus ihnen schon bei seiner Hinrichtung vergeben hätte. Aber bei ihnen konnte er es nicht!

Jesus spiegelte also Gottes Vorgehensweise in Sachen Sündenvergebung wider (Apg. 17:30). Und das sollten auch wir.

Vergebung ist immer an Voraussetzungen/Bedingungen geknüpft:
Einmal ist es Unwissenheit (!), ein anderes Mal Geringfügigkeit (!!), ein anderes Mal Reue (!!!), die Vergebung begründet. Doch die eigentliche Bereitschaft zum Vergeben ist nicht an Bedingungen geknüpft; sie ist bei Christen stets vorhanden.

Aber dabei bitte nicht vergessen: Bei Gott muss jede Sünde gesühnt werden. Stets ist ein "Sündenbock", eine Grundlage für die Vergebung, erforderlich. Gott schenkt uns Sündern seine Güte nicht in der Weise, dass er Recht und Gerechtigkeit einfach unter den Teppich kehrt. Uns wird keine Schuld erlassen, ohne dass sie nicht auch bezahlt wird (2. Mose 34:7). Wie erfolgt dies?

Wir gehen nicht deshalb frei aus, weil Gott in Sachen Übertretungen toleranter geworden wäre, sondern weil er, strikt an seiner Gerechtigkeit festhaltend, die unerlässliche Strafe für unsere Schuld auf Jesus gelegt hat (vgl. Röm. 11:22).

Und Jesus: Wir gewinnen ein völlig falsches, heutzutage aber sehr im Trend liegendes Bild von Jesus, wenn er so dargestellt wird, als ob er nicht am Recht interessiert sei, nicht an Strafe und Gericht, sondern nur an pauschalem Freispruch für alle. Eine solche Verfälschung der Person Christi ehrt nicht seine Barmherzigkeit und Güte, sondern degradiert ihn zu einem Anarchisten. Jesus überging nicht vor lauter Milde jede Ordnung, sondern er gab zur Aufrechterhaltung von Gottes Recht und Gerechtigkeit sein Blut und Leben. Er war einer, der für die Ehre und Gültigkeit des Gesetzes Gottes am Holz starb, damit wir leben könnten durch den Glauben an ihn (eine Bedingung!).
 

Kein Gießkannenprinzip: Jesu Vergebung ist kein pauschaler Freispruch für alle.

Christus hat die Opfer schwerer Sünden also mit seiner Lehre nicht entrechtet. Er verwässerte seine Vergebungslehre auch nicht mit der Aussage: "Jetzt kannst du einfach großzügig vergeben." NEIN, er zeigte ihnen, z.B. gemäß Matthäus, Kapitel 18, ihre Rechte auf. Und er machte den Schuldigen und Tätern ihre Pflichten bewusst. In diesem Kapitel wird durch Jesu Worte immer wieder der Wenn-Aspekt herausgestellt; er legte keinesfalls den Nachdruck oder Schwerpunkt auf ein KANN oder MUSS von bedingungsloser Vergebung! Damit würde man seine Aussagen missdeuten. (Lies Matth. 5:23, 24; 18:15-17, 23-35; Luk. 17:3, 4)

Der Wenn-Aspekt wird aber von religiösen Führern oft unterdrückt. Opfer eines Ehebruchs, eines Mords, einer Vergewaltigung, einer Schändung, einer schweren Körperverletzung, von Verleumdungen etc. fügt man weiteres großes Leid zu, wenn man von ihnen erwartet, einfach vergeben zu können bzw. sogar zu müssen. So etwas propagieren gerne Täter, z.B. Geistliche, die Kinder missbrauchen: Das schutzbedürftige Opfer soll still sein, den Mund halten, schweigen und vergeben. Damit können es die Täter schön weitertreiben und werden nicht enttarnt: teuflisch!

Wie sich doch der Teufel freuen muss, wenn er sieht, wie Christi Vergebungslehre von Personen, die sich als Christen ausgeben, entstellt wird, Missetäter dadurch fast unmerklich bevorrechtigt werden, sie quasi Immunität genießen und mit allen Rechten und Privilegien ausgestattet werden! Kein Wunder, dass dies zu Zwietracht und großem Leid unter "Christen" führt!

Schilder Vergebung Groll

Was soll man z.B. von einer Predigt halten mit dem Thema

"Hegst du Groll oder vergibst du?"

Das Thema selbst suggeriert schon fälschlicherweise unterschwellig, dass unterlassene Vergebung mit Groll gleichzusetzen (!) ist.

Das ist unzulässige Schwarz-Weiß-Malerei!

Durch eine derartige Darlegung werden bei dem Opfer noch zusätzlich zu seinem tiefen Schmerz Schuld- und Schamgefühle geweckt. Sind denn wirklich keine weiteren Möglichkeiten und Alternativen außer Groll oder Vergebung denkbar? Ist es denn nicht denkbar, dass jemand nicht vergibt und dennoch keinen Groll* hegt?

(*Unter Groll versteht man das Sinnen auf Rache, auf Vergeltung sinnen, es jemandem heimzahlen wollen.)

Nur ein Beispiel: Eine christliche Ehefrau mag ihrem untreuen Ehemann nicht vergeben und sich von ihm scheiden lassen. Sie muss deshalb aber noch lange keinen Groll hegen. Der Herr Jesus Christus gestattete es, diese Sünde nicht zu vergeben!

nachdenkliches Gesicht

Man fragt sich: "Warum versuchen z.B. Verantwortungs­träger der Zeugen Jehovas die Vergebungs­lehre mit aller Macht, auf Biegen und Brechen, flach zu halten und Opfern die Kenntnis um ihre Rechte vorzuenthalten? Warum deckt diese Religionsgemeinschaft Älteste, die unbiblisch lehren, man müsse einfach alles schnell großzügig vergeben? Was mag der Grund sein?"

Ja, was mag nur der Grund sein? Vielleicht, dass es für eine Organisation sehr praktisch und bequemer zu handhaben ist, wenn einfach alles schnell vergeben wird (bevor Peinliches und Unangenehmes groß an die Öffentlichkeit kommt)?

trauriges Mädchen mit zugeklebtem Mund

Geistliche Vorsteher treten immer wieder dahingehend auf, dass sie unschuldige Opfer bedrängen, ihren Tätern den schweren Schaden, den sie ihnen zugefügt haben, "einfach so zu vergeben", "ohne Wenn und Aber" und ohne dass die Täter durch ihre Handlungsweise zeigen, dass sie ihre Denkweise geändert haben.

Die Opfer sollen den Tätern vergeben, obwohl diese mit ihrer Handlungsweise womöglich fortfahren.

Die biblische Beweisführung zum Thema Vergebung zeigt eindeutig, dass niemand so etwas verlangen darf! Es wäre nicht schriftgemäß.

Um diesen Aspekt noch einmal klar auf den Punkt zu bringen, hier zwei Beispiele:

Keine Ehefrau würde ihrem Ehemann Ehebruch vergeben, wenn er sie gleichzeitig wissen ließe, dass er mit der Hurerei fortfahren und weitermachen will, indem er z.B. sagt:
"Ich werde aber weiterhin mit anderen Frauen meinen Spaß haben, bis du mir vergibst. Du musst mir zuerst vergeben, erst danach höre ich ,sicherlich´ mit dem Treiben auf." Absurd!

Ein Kinderschänder versucht vielleicht, sein kindliches Opfer auf folgende Art und Weise gefügig zu machen: "Wenn du nicht machst, was ich dir sage, und wenn du irgendjemand etwas davon erzählst, bringe ich dich um! Du bringst keine Schande auf mich."

Diese beiden Beispiele müssen doch für jeden Leser eines klarmachen: Würden die betrogene Ehefrau und das missbrauchte Kind ihren Kontrahenten unter diesen Umständen sagen "Ich vergebe dir", so wäre das nur vorgespielt. Diese Worte kämen nicht aus dem Herzen, da sich ja beim Täter keine Veränderung der Denk- und Handlungsweise abzeichnete!

In beiden Fällen wird zudem den Opfern schamlos eingeredet, dass sie in Wirklichkeit die Schuldigen, ja die Bösen seien. So schnell findet man sich als Unschuldiger in die Rolle des Beschuldigten gedrängt.

lachende und weinende Maske

Mit einer verdrehten Vergebungslehre verlangen Religions­gemeinschaften von verletzten Opfern, dass sie das "Als ob"-Spiel mitmachen. Das Opfer soll so tun, als ob alles zum Besten stünde, sozusagen den Schein wahren, ohne dass wirklich eine Grundlage dafür besteht. Würde das Opfer aber bei diesem makabren Spiel mitmachen, so wäre das Schauspielerei, ja Heuchelei von seiner Seite.

Zusammenfassung:

Missverständnisse und Verwirrung entsteht leicht dadurch, dass nicht deutlich zwischen der Bereitschaft zum Vergeben (einer geistig-sittlichen Grundhaltung, also einer Eigenschaft, auch als Versöhnlichkeit bezeichnet) und dem eigentlichen Vergeben (einer Tätigkeit, einer Handlung) unterschieden wird, ja diese Begriffe fälschlicherweise synonym verwendet und in einen Topf geworfen werden.

Wenn man den Unterschied jedoch beachtet, kann man Jesu Vergebungslehre durch folgenden allgemeinen Grundsatz ausdrücken und zusammenfassen:

"Christen sollten sich geistig-sittlich immer durch Vergebungsbereitschaft (= Eigenschaft!) auszeichnen. Und unabhängig von Häufigkeit und Schweregrad der Verfehlungen anderer sollten Christen dann auch tatsächlich vergeben (= Handlung!), wenn die Bedingungen/Voraussetzungen dafür erfüllt/gegeben sind."

Beispiele für von Tätern hoffentlich erfüllte Bedingungen sind:

– Reue, Entschuldigung, Wiedergutmachung

– Unwissenheit

– Geringfügigkeit der Verfehlung (Luk. 12:58, 59)

– Bereitschaft, selber anderen zu vergeben (Versöhnlichkeit)

Aber auch die Opfer sind gefordert: Vergebungsbereitschaft zu haben erleichtert es ihnen, Zorn, Wut oder Groll zu vermeiden. Und tatsächlich zu vergeben fördert den Frieden und die Harmonie.

Versöhnung einer Familie

So sind bei Verfehlungen also Täter und Opfer betroffen und aufgefordert, ihre ´Last zu erleichtern´, indem sie der Lehre Jesu folgen (Matth. 11:28-30) und beidseitige Rechte und Pflichten respektieren. Wird aber einfach nur Vergebung propagiert, die durch das Opfer erfolgen soll, dann ist dies eine Verzerrung der Vergebungslehre Jesu und pseudochristlich.

Der oben formulierte Grundsatz spricht explizit sowohl die Häufigkeit als auch die Schwere von Verfehlungen an. Vergebungsbereitschaft, diese ganz besondere christliche Eigenschaft, ist in jedem Fall die Voraussetzung dafür, den Grundsatz zu meistern (Kol. 3:13).

Nicht selten ist Geringfügigkeit eine erfüllte Bedingung, weswegen solche Sünden zugedeckt werden sollten (1. Pet. 4:8; Eph. 4:31, 32). Die Vergebung einer nicht bereuten ernsten Sünde kann allerdings nicht eingefordert werden, auch nicht durch religiöse Führer.

Der Schlüssel zum Verständnis der Vergebungslehre Jesu
ist also die bewusste Unterscheidung zwischen

Vergebungsbereitschaft (Eigenschaft) und

Vergebung (Handlung) sowie das Erfüllen der

Vergebungsbedingungen (Reue, Unwissenheit, Geringfügigkeit).