Skla­ve auf Be­wäh­rung

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"Wer ist in Wirklichkeit der treue und verständige Sklave, dem sein Herr die Verantwortung für seine Hausdiener übertragen hat, damit er ihnen zur richtigen Zeit ihre Nahrung gibt? Glücklich ist jener Sklave, wenn sein Herr kommt und sieht, dass er genau das tut! Ich versichere euch: Sein Herr wird ihm die Verantwortung für seinen ganzen Besitz übertragen."

(Matthäus 24:45-47)

Im Rahmen seiner Endzeitprophezeiungen in Matthäus Kapitel 24 sprach Jesus von einem "treuen und verständigen Sklaven, den sein Herr über seine Hausknechte gesetzt hat, um ihnen ihre Speise zur rechten Zeit zu geben."

Wer ist dieser "Sklave"?

Während sich viele Christen weitgehend einig sind, dass die beschriebenen Merkmale der Endzeit heute immer mehr zu beobachten sind, gibt es zum "treuen und verständigen Sklaven" verschiedene Deutungen. Allein innerhalb der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas verstand man unter dem "Sklaven" ...

  1. zuerst eine Einzelperson, nämlich den Gründer und Präsidenten der Wachtturmgesellschaft, Charles T. Russell,
  2. dann die Gesamtheit der geistgesalbten Christen mit himmlischer Hoffnung, die zur Zeit auf der Erde leben,
  3. danach den Teil der Geistgesalbten mit himmlischer Hoffnung, die mit dem Herausgeben bibelerklärender Schriften beschäftigt sind,
  4. und seit einigen Jahren die leitende Körperschaft, eine Gruppe von aktuell acht geistgesalbten Männern mit himmlischer Hoffnung.

Was sind die Aufgaben des "Sklaven"?

Weil Jesus für die heutige Endzeit mit diesem "Sklaven" jemanden angekündigt hat, der uns geistig und spirituell nicht nur bei Kräften halten, sondern auch erfreuen soll – so wie man Speise nicht nur isst und verwertet, sondern auch genießt.

Das ist die Aufgabe des Sklaven, und das sollte die Wirkung seiner Tätigkeit auf uns alle sein.

Aus zwei Gründen ist es entscheidend zu erkennen, was dieser "Sklave" ist und was er nicht ist:

  • Man findet heraus, aus welcher Quelle man unter welchen Bedingungen bedenkenlos trinken kann.
  • Auch wird es einem helfen, selbst unter extrem unfreundlichen Umständen (z.B. Verfolgung von außen oder von innen) nicht sozusagen "das Kind mit dem Bade auszuschütten" und seinen Glauben an Gott zu verlieren, sondern stabil im Glauben zu bleiben und sogar sagen zu können: Das habe ich erwartet. Die Bibel hat mich darauf vorbereitet.

Stiller Wechsel des Blickwinkels

Im Hinblick auf den "treuen und verständigen Sklaven" hat bei Zeugen Jehovas im Jahr 2015 ein ganz stiller Paradigmenwechsel stattgefunden.

Im Wachtturm, Studienausgabe vom 15. März 2015, steht auf Seite 22 unter dem Zwischentitel "Wann kommt der Herr, um abzurechnen?" folgendes:

"Gegen Ende der großen Drangsal, die kurz bevorsteht, wird Jesus kommen, um mit seinen Sklaven abzurechnen."

Was bedeutet dieser unscheinbare Satz in Wirklichkeit?

  1. Jesus (der "Hausherr" aus dem Gleichnis) ist noch gar nicht "zurückgekehrt".
    Denn wenn er erst "gegen Ende der Drangsal" zurückkehrt und die Drangsal noch vor uns liegt, kann er logischerweise noch nicht zurückgekommen sein.
  2. Wenn er noch nicht zurückgekommen ist, hat Jesus noch gar nicht mit seinem "Sklaven" abgerechnet.

Mit anderen Worten: Da wir noch nicht in der großen Drangsal sind, erweist sich die bisherige Lehre der Zeugen Jehovas im "neuen Licht" dieses Studienartikels als falsche Behauptung. 1919 hat Jesus NICHT die Gruppe, die sich selbst als "treuen und verständigen Sklaven" bezeichnet, belohnt und über all seine Habe gesetzt. Weder ist das 1919 passiert noch bis zum heutigen Tag, denn die Drangsal liegt ja noch vor uns.

Wenn man logisch nachdenkt, hat das weitreichende Konsequenzen ...

Erstens: Falsche Bezeichnung

Da Jesus derjenige ist, der mit dem Sklaven abrechnen und seine Arbeit bewerten wird, und da diese Bewertung noch in der Zukunft liegt, steht es niemandem zu, sich selbst schon im Voraus als "treuer und verständiger Sklave" zu bezeichnen. Das würde bedeuten, Jesu Urteil vorzugreifen und sich auf seinen Richterstuhl zu setzen, was sehr respektlos ihm gegenüber wäre, aber auch dem gegenüber, der ihm diese höchste Autorität und Urteilsgewalt verliehen hat: Jehova Gott.

Nein, der "Sklave", der Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Austeilen geistiger Speise begann, befindet sich aus Jesu Sicht noch immer in der Phase, in der er sich durch seine Arbeit, seine innere Einstellung und liebevolle Vorgehensweise bewähren muss, er ist

"Sklave auf Bewährung".

Zweitens: Falsche Stellenbeschreibung

Da Jesus noch nicht mit dem "Sklaven auf Bewährung" abgerechnet hat, hat er ihn auch noch nicht über all seine Habe gesetzt. Der "Sklave" ist somit gar nicht autorisiert, über alles zu herrschen: Menschen, Material, Dogmen, Gerichtsbarkeit – er hat sich diese Tätigkeitsfelder entgegen der Anweisung seines Herrn selbst angeeignet und "schlägt" und misshandelt damit seine Mitsklaven.

Das wiederum erklärt, warum es soviel destruktiven Wildwuchs und Machtmissbrauch innerhalb der WT-Organisation gibt. Unter Präsident Rutherford begann sich die "Watch Tower Bible and Tract Society" (Wachtturm-Gesellschaft) zu dem straff zentralistisch organisierten Glaubensunternehmen auszubilden, das wir heute sehen.

Der Sklave hat die Aufgabe, gute Speise auszuteilen – nicht zu schauen, ob jeder jeden Bissen 23mal kaut, ob das Besteck rechtwinklig auf dem Tischtuch liegt oder ob jeder täglich vorschriftsmäßig Verdauung hat. Nur zubereiten und austeilen, mit Liebe, Geist und Wahrheit.

Der Sklave ist nicht Richter, Herrscher, Henker, sondern laut Stellenbeschreibung einfach

"Koch und Kellner".

Kann der "Sklave auf Bewährung" nur Jesu Anerkennung und Lob erwarten?

O nein. Jesus erzählte gleich vier Gleichnisse, um Wohlverhalten, aber auch Fehlverhalten dieser besonderen Gruppe aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten:

  • das Gleichnis von den Talenten, (Matthäus 25)
  • das Gleichnis von den Minen, (Lukas 19 / Matthäus 28)
  • das Gleichnis von den Jungfrauen (Matthäus 25) und
  • das Gleichnis vom treuen und vom schlechten Sklaven (Matthäus 24).

Wäre dieser Aufwand nicht unnötig gewesen, wenn die einzelnen Mitglieder dieser Gruppe gar nicht falsch handeln könnten? Abgesehen davon, dass dies der Klärung der universellen Streitfragen entgegen stehen und auch noch gegen Jehovas Konzept der Willensfreiheit verstoßen würde ...

Nein, Jesus warnte seine ernannten Diener nachdrücklich vor der realen Möglichkeit des Scheiterns: Wer das Vertrauen seines Herrn verrät und seine Autorität missbraucht, der wird nicht nur am "Hochzeitsfest des Bräutigams" nicht teilnehmen dürfen, sondern sogar hinausgeworfen werden, heulen und mit den Zähnen knirschen, was auf ewige Vernichtung hindeutet!

Der übelgesinnte Sklave wird in Stücke gehauen!

Ist die Sache wirklich so ernst? Nehmen wir den Bibeltext vom "treuen und verständigen Sklaven" genauer unter die Lupe. Der zweite Teil des Gleichnisses wird seltener zitiert. Er lautet:

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"Falls sich aber jener schlechte (übelgesinnte) Sklave jemals sagen sollte: ‚Mein Herr verspätet sich‘, und er anfängt, die anderen Sklaven zu schlagen und mit den Gewohnheitstrinkern zu essen und zu trinken, wird der Herr jenes Sklaven an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und ihn äußerst hart bestrafen und ihm seinen Platz bei den Heuchlern zuweisen. Dort wird er weinen und mit den Zähnen knirschen."

(Matthäus 24:48-51 NWÜ 2018)

Was wäre also die Konsequenz, wenn dieser kollektive "Diener" über seine Befugnis hinausgehen, seine Mitdiener misshandeln und saufen würde? Dann würde sein Herr ihn bei seiner unerwarteten Wiederkunft "mit der größten Strenge bestrafen" (Matthäus 24:51, NWÜ).

Interessant ist, dass andere Übersetzungen die Bestrafung des bösartigen Dieners sehr viel drastischer ausdrücken:

"in Stücke hauen"

(Einheitsübersetzung, Gute Nachricht Bibel, Lutherbibel 1984)

"entzweischneiden"

(Elberfelder Bibel 2006)

"entzweihauen"

(Schlachterbibel 2000)

"teilen"

(Lateinische Vulgata-Bibel)

Im Urtext steht das griechische Wort "dichotomesei", eine Verbform. Griechisch διχοτομέω bedeutet "halbieren, entzweischneiden, in zwei Teile spalten". Dichotomie bedeutet wörtlich "Zweiteilung" und bezeichnet eine Struktur aus zwei Teilen, die einander gegenüberstehen, oder eine Aufteilung in zwei gegensätzliche Teile.

Aus der Wortwahl lässt sich deuten, was Jesus bei seiner zweiten Ankunft tun wird, nämlich:

  • im kollektiven Sinn:
    den "bösen Sklaven" als funktionierendes Organ zerschlagen, ihn funktionsuntüchtig machen;
  • im spirituellen Sinn:
    den aus Einzelpersonen bestehenden Sklaven teilen in zwei Gruppen, deren innere Einstellung gegensätzlich ist: die einen handeln liebevoll, die anderen nicht (Trennungswerk = spirituelle Dichotomie);
  • im individuellen Sinn:
    jedes untreue, anmaßende Mitglied des "Sklaven" in Stücke hauen, strafen oder sogar austilgen.

Fangfrage: "Akzeptierst du den treuen und verständigen Sklaven?"

Gewissenhafte Antwort: "Ich bin fest davon überzeugt, dass Jesus genau beobachtet, wie seine Nachfolger mit ihrer Verantwortung umgehen, und dass er abrechnen wird – sowohl mit den Menschen, auf die die Beschreibung des treuen Sklaven passt, als auch mit denen, die wie der übelgesinnte Sklave handeln. Aber wie die Leitende Körperschaft selbst sagt: Jesus hat noch nicht abgerechnet, und deshalb möchte ich Jesu Urteil nicht vorgreifen. Schaut nach ihren Früchten!"